Mit welchen Materialien arbeitet normalerweise ein Bildhauer? Übliche Materialien wären doch Granit, Marmor oder Sandstein!?
Der UnternehmerTUM Artist in Residency Fabian Hesse bevorzugt ein ungewöhnliches Material, das man wohl kaum mit Hammer und Meißel bearbeiten kann. Er schafft Skulpturen aus Daten - auch gegen den Willen des BigRep 3D Druckers.
Daten sind das zeitgenössischste Material.
Daten sind eigentlich ein denkbar schlechtes Material für die Bildhauerei. Und die Frage ist berechtigt, ob Daten überhaupt ein „Material“ im physischen Sinne sind? Man kann sie weder sehen noch fühlen, sie haben kein Gewicht und keine bestimmbare Position im Raum. Eigentlich existieren sie gar nicht!? Doch seit kurzem existiert ein Datensatz mitten im Foyer unseres Firmengebäudes in Garching: ungefähr einen Meter hoch, hell- bis mittelgrau und mindestens 25 Kilogramm schwer. Diese Skulptur sei aus dem Businessplan generiert, mit dem Helmut Schönenberger die UnternehmerTUM 2002 gegründet hat, klärt uns der Künstler auf, und aus weiteren Textfragmenten. Wir schauen genauer hin und erkennen staunend Begriffe wie „Cleantech“, „economical“ und „responsibility“ in den wirbelnd emporsteigenden Formen.
Daten sind eben das zeitgenössischste Material“ fährt er fort und als durch-und-durch digitalisiertes Gründerzentrum für High-Tech Start-ups können wir nur zustimmen. Nach Inspiration für seine Residency-Arbeit musste er nicht lange suchen. In früheren Arbeiten hat er Spam Mails, Twitter Feeds oder den von Edward Snowden geleakten NSA-Dokumente eine neue Form gegeben. Im Entrepreneurship-Kontext interessierte ihn, Schönebergers Arbeit als eine Art Quellcode für diesen realen Ort unter die Lupe zu nehmen und skulptural zu bearbeiten. Beim ersten Besuch in unserem MakerSpace hätte ihn gleich der BigRep 3D-Drucker angelacht, berichtet er. Damit war die Idee geboren – aber die Arbeit noch lange nicht getan.
Der Künstler ist eindeutig zu weit gegangen, sagt unser 3D Drucker. Bevor Fabian Hesse den Daten eine physische Form geben konnte, musste er sie erst mittels 3D-Software visualisieren. Er spricht lieber von „De-Visualisierung“. Als mehr und mehr Dokumente aus dem Entrepreneurship-Kontext hinzukamen, begann er Textteile algorithmisch nach häufig vorkommenden Begriffen neu zu organisieren, synthetisierte Schlagworte und untersuchte pitches, die ihn interessieren als "spekulative Forderungen an die Zukunft, die sich als selbst erfüllende Prophezeihung realisieren oder als leere Versprechen herausstellen können".
In weiteren Arbeitsschritten wendete er Mittel eines Turing-Tests an, der zur Feststellung der Unterscheidung von Menschen und Maschinen dient. Dabei werden Worte und Buchstaben mit Zufallsgeneratoren so lange ineinander verschoben, deformiert und überlagert, bis sie nur für menschliche Wahrnehmung überhaupt noch erkennbar sind. Für maschinelles Sehen sind sie dann transparent. So entstand schließlich eine surreal verzerrte Form, die zu groß und komplex ist, um sie überhaupt noch drucken zu können.
Wie ein klassischer Bildhauer begann er wieder Stücke seiner Daten-Skulptur mittels Repair-Software „abzuschlagen“. Kaum war die Form endlich „watertight“, also druckbar, schaut er schon wieder, ob er an der ein oder anderen Stelle nicht doch noch einen Schritt weiter gehen könnte. Er liebt es einfach die Grenzen seines Materials und seiner Werkzeuge zu testen - und dafür überschreitet er sie systematisch. Zufrieden ist er erst, wenn er seine Werkzeuge besiegt hat - oder von ihnen besiegt wurde. Das 3D-Modell für seine Residency-Arbeit sollte so durchtrieben sein, dass unser BigRep keine Chance mehr hat fehlerfrei zu arbeiten. Und BigRep gehorchte seinem neuen Meister.
14 Tagen und Nächte druckte BigRep ununterbrochen, bis endlich der vierte und letzte Teil der Skulptur fertig war. Die einzelnen PLA-Schichten sind an vielen Stellen noch deutlich zu erkennen, aber genau das war das Ziel des Künstlers. Diese Störeffekte (in der Kunst als „Glitches“ bezeichnet) sind sein Stilmittel, um die ehrgeizige Arbeit sichtbar zu machen - nicht nur die Arbeit hinter der Residency-Skulptur, sondern auch die hinter dem Businessplan, der die Grundlage der UnternehmerTUM bildet. Und zugleich sind diese Störeffekte der Beweis, dass Fabian Hesse mit unserem 3D Drucker komplett ans technologische Limit gegangen ist.
Fabian Hesses Residency ist Teil einer Reihe von Initiativen an der Schnittstelle von Kunst und Technologie.
- Der Designer Arwed Guderian war bereits als Stipendiat im MakerSpace, und hat sogar eigene Werkzeuge entwickelt, um seinen geknickten Spiegel zu produzieren.
- Bei der vom Kompetenzteam Kreativ- und Kulturwirtschaft organisierten Zwischennutzung im Ruffinihaus haben neun unserer High-Tech Start-ups mit ca. 200 Künstlern und Kreativen gemeinsam gearbeitet und sich gegenseitig inspiriert.
- Vor wenigen Wochen startete eine weitere Zwischennutzung im Kreativquartier, in der die UnternehmerTUM neue Formate der Kooperation von Techis und Künstler*innen erprobt
Wir sind gespannt, welche technologischen Grenzen als nächstes überwunden werden.