Michael Stockerl ist Director Digital Product School, dem Programm von UnternehmerTUM, das menschenzentrierte digitale Produktentwicklung für Partnerunternehmen und talentierte Menschen aus der ganzen Welt erlebbar macht. Seit der Einführung der Digital Product School wurden über 100 Teams von ihm begleitet. Wir wollten von Michael wissen, warum so viele digitale Produkte sich nicht etablieren können und worauf es bei der Entwicklung wirklich ankommt.
Warum scheitern so viele digitale Produkte?
Viele digitale Produkte werden in dem Glauben entwickelt, dass man das richtige Produkt für ein relevantes Problem in einer Zielgruppe baut und dass dafür eine ausreichende Zahlungsbereitschaft besteht. Allerdings wird keiner der vier genannten Aspekte tatsächlich validiert oder, noch wichtiger, falsifiziert. Oft wird erst mit dem Markteintritt erkannt, dass das entwickelte Produkt kein tragfähiges Geschäftsmodell besitzt.
Wie kann bereits bei der Produktentwicklung Wertschöpfung entstehen?
Zunächst muss bewusst zwischen zwei Phasen der Produktentwicklung, der Product Discovery und Product Delivery, unterschieden werden. In der Product Discovery-Phase bewegt man sich in einer Welt hoher Unsicherheit. Das Produkt, die zu lösenden Probleme und die Zielgruppe basieren auf Annahmen, die es zu validieren bzw. zu falsifizieren gilt. Dabei müssen vor allem schlanke Methoden und Experimente, wie z.B. Problem-Interviews, eingesetzt werden. Leitfrage sollte immer sein: Wie komme ich möglichst schnell an die relevanten Erkenntnisse?
Hingegen ist das Produkt in der Product Delivery-Phase bereits bekannt. Es geht lediglich um das skalierbare Implementieren der bekannten Lösung.
Warum ist die Product Discovery-Phase so wichtig - und warum wird sie zu oft vernachlässigt?
Die Product Discovery fokussiert sich auf das Validieren von Annahmen und deren schrittweise Anpassung. Dabei sollen Antworten auf Fragen gefunden werden wie etwa “Welche Probleme existieren wirklich?” und “Welche Probleme sind es wert, gelöst zu werden?”. Dabei sollten diese Entscheidungen von dem Produkt-Team getroffen werden, welches die Discovery durchführt.
In vielen Unternehmen werden entscheidende Produktentscheidungen in der oberen Hierarchie-Stufe getroffen. Also sehr weit weg von der Zielgruppe. Annahmen des Managements werden selten in Frage gestellt und damit selten falsifiziert.
Könnte eine stärkere Fokussierung auf den Product Discovery-Prozess die digitale Transformation in Deutschland voranbringen?
Auf jeden Fall. Die Idee ist ja, dass man zunächst menschenzentriert an den wichtigsten Problemen arbeitet. Sobald sie ausreichend gelöst sind, widmet man sich dem Nächsten. Also anstatt großer Initiativen, die im schlimmsten Fall nie fertig werden, tastet man sich in kleinen Schritten voran und schafft so schnell Mehrwert für die Zielgruppe. Sind ein Problem und dessen Lösung ausreichend validiert, dann klappt auch das Ausrollen dieser Lösung leichter. Daneben kann man auch auf die stetig wandelnden Anforderungen reagieren und das Angebot weiterentwickeln.
Was können Wirtschaft und Gesellschaft hier tun?
Vor allem Deutschland hat eine Geschichte und Tradition, in der die Unternehmen erfolgreich sind, die eine Maschine möglichst perfekt herstellen können. In der digitalen Produktentwicklung gibt es die Perfektion nicht und sie stellt nicht den Anreiz dar, ein Produkt zu nutzen. Man muss echten Mehrwert schaffen, indem man die großen und kleinen Probleme der Menschen möglichst pragmatisch löst. Hier braucht es ein Umdenken. Weg vom Perfektionismus hin zum experimentellen Entdecken der größten Probleme und der Lösungen für die Menschen. Es geht aber nicht darum, Produkte mit Fehlfunktionen auf den Markt zu bringen, sondern auch hier den Vorteil zu nutzen, Produkte gemeinsam mit den Nutzenden zu verbessern und ganz im Sinne der Customer Centricity an den konkreten Bedürfnissen auszurichten. Wir haben unser 3-Monatsprogramm auch nach genau diesem Prinzip entwickelt. Anstatt jahrelang das perfekte Programm im Stillen zu entwickeln, haben wir die Digital Product School minimal und möglichst schnell aufgesetzt. Seitdem nutzen wir jeden Durchlauf zur iterativen Verbesserung des Programms durch unsere Erkenntnisse in der Arbeit mit den Teams.
Vielen Dank für das Interview!