Kirstin Hegner, Managing Director Digital Hub Mobility, erzählt uns im Interview, wie sich die Initiative entwickelt hat und welche spannenden Projekte schon daraus hervorgegangen sind.
Kirstin, vor welchen Herausforderungen stand der Digital Hub Mobility, als er 2017 ins Leben gerufen wurde?
2017 sind wir mit der Digital Product School als wichtigstem Format im Hub gestartet: Hier schicken die beteiligten Partnerunternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für drei Monate in Vollzeit zu uns, um in agilen Teams wie in einem Start-up neue Mobilitätskonzepte zu entwickeln. Daran war vieles für die etablierten Unternehmen sehr ungewohnt: Teammitglieder für so einen langen Zeitraum zu entsenden und zu erleben, dass das eine Bereicherung ist und kein “Verlust”. Und dass in einem Team mehrere Player wie z.B. BMW und Daimler, die sonst in Konkurrenz stehen, gemeinsam an einem Thema arbeiten können.
Aus meiner persönlichen Sicht war die größte Herausforderung, dass wir zu Beginn so vieles gleichzeitig stemmen mussten: den Hub bekannt machen, eine Vision erarbeiten, die Ziele der Firmen besser verstehen, inhaltliche Glaubwürdigkeit erzielen, neue Teammitglieder finden und einarbeiten, u.v.m.
Aber das ist ja genau das Spannende in einer solchen Situation!
Ihr versteht den Digital Hub Mobility als Experimentierplattform für urbane Mobilitätskonzepte: Wie kann man sich das genau vorstellen?
Unser neues Format “citizen mobility” ist einzigartig - so weit ich das überblicke - weil wir mit Städten, derzeit v.a. der Landeshauptstadt München, Unternehmen und Start-ups daran arbeiten, die Mobilitätsprobleme der Bürgerinnen und Bürger zu lösen. Wir identifizieren ein Problem und suchen dann gezielt ein Start-up, das hier eine Lösung anbieten kann. Anschließend wird ein konkretes Experiment durchgeführt. Da die Stadt viel schneller als sonst die notwendigen Genehmigungen erteilt, z.B. Sensoren an einer Kreuzung aufzubauen, können wir das Experiment zügig durchführen und Ergebnisse erarbeiten, die im nächsten Schritt schnell ausgerollt werden können.
So haben wir u.a. ausprobiert, ob die Menschen Parkzonen für E-Kickscooter akzeptieren und nutzen, damit diese nicht wild auf dem Gehweg oder auf öffentlichen Plätzen herumstehen. Und tatsächlich werden sie sehr gut angenommen! Das Start-up Upride hat sofort eine “smarte” Version der Parkzone entwickelt, mit der die Stadt gezielt einen Anreiz zur Nutzung bieten kann.
Wir arbeiten immer in agilen Sprints, d.h. wir passen die Vorgehensweise gezielt und schnell an die aktuelle Fragestellung an. Und die Zusammenarbeit von Unternehmen und Start-ups mit der Stadt ist in dieser Form einzigartig.
Welche großen Mobilitätsprobleme hat München?
München ist die unrühmliche Stauhauptstadt Deutschlands - hier standen Autofahrer 2019 ganze 87 Stunden im Stau. Verursacht wird dies durch 400.000 Einpendler pro Tag und 200.000 Auspendler, die häufig über den Mittleren Ring fahren müssen, um auf eine der sechs Autobahnen zu gelangen, die von / nach München führen. Der ÖPNV in München ist zwar im Vergleich zu vielen anderen Städten sehr gut, es fehlt aber eine Ringbahn. Deshalb nutzen auch viele Berufstätige das Auto, die in der Peripherie von A nach B müssen, weil der Weg mit dem ÖPNV immer über die Innenstadt führt und deshalb viel zu lange dauert. Und schließlich wird in München die Hälfte aller Strecken, die kürzer als fünf Kilometer sind, mit dem Auto zurückgelegt! Zu viele Autos stehen meist ungenutzt auf der Straße, weil der öffentliche Raum nicht richtig bepreist ist. Das ist ein unpopuläres Thema, aber wir werden den öffentlichen Raum neu verteilen müssen zugunsten von aktiver Mobilität und zu Lasten parkender Autos.
Welche Lösungen haben es bereits auf den Markt geschafft?
Viele der Ideen, die in der Digital Product School entstanden sind, gehen ihren Weg in die Produktentwicklung unserer Kooperationsunternehmen und sind für uns dann nicht mehr zu tracken. Ein tolles Beispiel ist Moovster, eine Ausgründung von BMW im vergangenen Jahr: Mario Lochmüller von BMW hat gemeinsam mit Adidas im ersten Batch der DPS eine App entwickelt, die Mitarbeiter motivieren soll, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren statt mit dem Auto. Nach einer weiteren Phase im BMW-eigenen Inkubator ist Moovster auf den Markt gegangen mit einem Angebot, das für Unternehmen ein Mobilitätsbudget für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter organisiert und abwickelt. Die App, die in der DPS entwickelt wurde, ist elementarer Bestandteil, weil sie die Menschen motiviert, das Mobilitätsbudget tatsächlich in Anspruch zu nehmen.
Wenn wir in die nahe Zukunft blicken: In welche Richtung wird sich die Mobilität in der Stadt entwickeln?
In vielen deutschen Städten ist viel in Bewegung, um die Mobilität nachhaltiger und aktiver zu gestalten.
Vor Corona war natürlich Sharing ein wichtiger Bestandteil. Wie sich das entwickeln wird, vermag ich im Augenblick nicht zu sagen. Dass die Arbeit im Homeoffice den Verkehr reduziert, ist, um so klarer geworden in den letzten beiden Wochen. Hier wird hoffentlich ein Umdenken in Unternehmen stattfinden, die dieses Instrument bisher nicht genutzt haben. Nicht extrem, aber selbst ein Tag pro Woche im Homeoffice verringert die Autofahrten um 20 Prozent!
Wir werden die Flächen in unseren Straßen, die ja meist nicht vermehrbar sind, neu verteilen müssen zugunsten von aktiver Mobilität und besserer Aufenthaltsqualität. Sprich: weniger Blech und mehr Grün.
Vielen Dank für das Interview!
Über den Digital Hub Mobility
UnternehmerTUM ist Digital Hub Mobility und damit Teil der deutschlandweiten Digital Hub Initiative, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2017 initiiert hat. An zwölf miteinander vernetzten Standorten arbeiten etablierte Unternehmen mit Innovationstreibenden aus Gründerszene und Wissenschaft zusammen. In München bietet das einzigartige Ökosystem von UnternehmerTUM die ideale Basis für digitale Mobilitäts-Innovationen der Zukunft.