Der vergangene Winter stand für spärlich beschneite Skipisten in den Alpen, man sah mehr Grün als Weiß, bei gleichzeitig frühlingshaftem Wetter. An Neujahr stieg die Temperatur in der Schweiz auf +20 Grad Celsius – noch nie war sie im Januar auf der Alpennordseite derart hoch.
Warum das viel mit unserer Industrie zu tun hat und wie Nachhaltigkeitsziele wirklich erreicht werden können.
Im letzten Jahrhundert hat sich das Klima in den Alpen stark verändert. Die Durchschnittstemperatur ist um alarmierende 2°C gestiegen, doppelt so stark wie im globalen Vergleich. Der jüngste IPCC-Bericht zeigt, dass bei einer Fortsetzung des derzeitigen Trends das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur unter 1,5 °C zu halten, kaum noch zu erreichen ist: er liegt derzeit bei 1,1 °C. Anfang der 2030er Jahre wird die Welt diese Grenze wahrscheinlich überschreiten. Eine der denkwürdigsten Äußerungen des vergangenen Jahres kam zweifellos von UN-Generalsekretär António Guterres auf der COP27, als er erklärte, die Welt hielte ihren "Fuß auf dem Gaspedal auf einer Autobahn zur Klimahölle".
Die Dringlichkeit des Themas hat dazu geführt, dass mehr Unternehmen aller Größenordnungen ihre eigenen Netto-Null-Klimaziele festgelegt haben. Allerdings liegen wir immer noch weit hinter dem Tempo des Wandels zurück, das wir erreichen sollten, und es bestehen Zweifel an der Wirksamkeit solcher Ziele, da der UN-Generalsekretär sie als "unterschiedlich streng und mit Schlupflöchern, die so groß sind, dass ein Diesel-Lkw hindurchfahren kann" bezeichnete.
Warum erreicht die Industrie ihre Emissionsreduktionsziele nicht?
Die Netto-Null-Ziele werden aus verschiedenen Gründen verfehlt. Oftmals bewirken große Worte Wunder für den Markennamen, während die tatsächliche Durchführung dieser Ziele auf der Strecke bleibt. Die Reduzierung von Emissionen erfordert ein langfristiges Engagement, und die Unternehmen müssen bereit sein, in die notwendigen Ressourcen und Technologien zu investieren, um ihre Ziele zu erreichen und sicherzustellen, dass sie mit der nationalen Politik in Einklang stehen. Der erste Schritt besteht darin, die Quelle ihrer Emissionen zu ermitteln. Da Schadstoffe aus der Lieferkette sowie aus der Nutzung und Entsorgung von Produkten branchenübergreifend die häufigsten Emissionsquellen sind, raten Rahmenwerke wie der “Corporate Net-Zero Standard” von The SBTi den Unternehmen, Maßnahmen und Investitionen zur Verringerung des Kohlenstoff-Fußabdrucks innerhalb der Wertschöpfungskette Vorrang vor der Konzentration auf die Emissionen außerhalb der Kette zu geben.
"Ein typischer Fallstrick ist ein reiner CO2-Fokus. 50 % der Emissionen stammen aus der Materialnutzung, und die Gewinnung von Rohstoffen hat noch schwerwiegendere Folgen als "nur" die Beschleunigung der Klimakrise. Unternehmen sollten die Ressourcenfrage berücksichtigen und darüber nachdenken, wie sie sich de-materialisieren können", betont Matthias Ballweg, Mitbegründer und Geschäftsführer von CIRCULAR REPUBLIC.
Die zweite große Herausforderung besteht in der Messbarkeit: Die Unternehmen müssen sich von Anfang an messbare Ziele für die Emissionsreduzierung setzen, damit sie ihre Fortschritte verfolgen, anpassen und verbessern können. Immer wichtiger wird auch die Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit. In den EU-Ländern sind Unternehmen in bestimmten Industriezweigen bereits verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen öffentlich zu melden, und es ist zu erwarten, dass diese Vorschriften in Zukunft noch strenger und umfassender werden.
An Anreizen zur Erreichung von Netto-Null-Emissionen und zur Umsetzung von Dekarbonisierungszielen in konkrete Klimamaßnahmen fehlt es nicht, das zeigen z. B. der europäische Investitionsplan Green Deal, der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Vielen Unternehmen fällt es jedoch schwer, den ersten Kontakt zu einem dieser Fonds herzustellen, da sie den wichtigsten ersten Schritt vernachlässigen: eine gründliche Analyse ihrer Aktivitäten, um die Lücken in ihren Bemühungen zu erkennen und die Ressourcen zu identifizieren, um diese zu schließen.
Innovationsökosysteme: Brücke zwischen Unternehmen und Start-ups
Lösungen für komplexe Herausforderungen erfordern die Zusammenarbeit von Akteuren aus allen Branchen und mit unterschiedlichem Hintergrund. Offene Innovationsrahmen ermöglichen es den Beteiligten, ihre Fähigkeiten, Ressourcen und Erfahrungen zu bündeln und fortschrittlichere und effektivere Lösungen zu entwickeln. Initiativen wie RE100 und CE100 setzen neue Nachhaltigkeitsstandards für Branchen und Regierungen, indem sie Unternehmen, die öffentliche Hand und akademische Einrichtungen zusammenbringen, um den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen und die Umstellung auf erneuerbare Energien voranzutreiben. Dazu führen sie Petitionen durch, stellen technische Kriterien für Regierungen bereit und bieten Ressourcen, Toolkits und Netzwerkplattformen an. Dass eine erfolgreiche Energiewende möglich ist, zeigen Länder wie Island, wo fast 85 % der Energie aus einheimischen erneuerbaren Quellen stammen.
"Die führenden Unternehmen des nächsten Jahrzehnts sind nicht defensiv, wenn es um Dekarbonisierung und De-Materialisierung geht, sondern spielen offensiv. Sie passen ihre Geschäftsmodelle und die Art und Weise, wie sie die Kundenbedürfnisse befriedigen, proaktiv und weit vor den regulatorischen Trends an. Diese Strategie war bereits in den letzten fünf Jahren erfolgreich und wird sich in den kommenden Jahren noch stärker differenzieren”, so Ballweg.
Innovationszentren wie UnternehmerTUM regen die Entwicklung von Ideen an, die den Status quo in Frage stellen und eine weitere Annäherung in Richtung CO2-Neutralität fördern, indem sie relevante Unternehmen und Innovationstreiber zusammenbringen. Durch Programme wie TechFounders, die kurzfristige Kooperationsprojekte zwischen etablierten Unternehmen und nachhaltig agierenden Start-ups fördern, erhalten Unternehmen ein risikoarmes Umfeld, um Lösungen zu testen, bevor sie sich auf größere Investitionen in neue Technologien und Infrastrukturen festlegen. Die Zahl der Start-ups, die Nachhaltigkeit in ihr Geschäftsmodell integrieren, nimmt stetig zu, was auch auf Faktoren wie die staatliche Förderung, fruchtbare Innovationsökosysteme, die wirtschaftliche Rezession und die anhaltende Energiekrise zurückzuführen ist. So tragen beispielsweise von den mehr als 60.000 Start-ups in Deutschland etwa 30 % zu den Umweltzielen einer Green Economy bei.
"Heutzutage spielen Unternehmen, insbesondere in Sektoren wie Energie, Verkehr, Landwirtschaft und Produktion, eine entscheidende Rolle bei der Reduzierung der globalen Emissionen und der Verwirklichung von Netto-Null-Zielen. Deshalb haben wir uns mit einer Reihe von Unternehmen zusammengetan, die sich für einen positiven Einfluss auf die Umwelt einsetzen, und helfen ihnen durch unsere Vermittlungsdienste, nachhaltige Lösungen zu finden, die funktionieren. Gründerinnen und Gründer stehen oft an vorderster Front bei der Entwicklung neuer Technologien, die den Unternehmen helfen können, ihre Dekarbonisierungsziele zu erreichen", sagt Sylvia Stojilkovic, Managing Partner bei TechFounders.
Das TechFounders-Programm arbeitet seit langem mit Unternehmen zusammen, die ihre Kohlenstoffbilanz verbessern und Alternativen für ihre derzeitigen Prozesse, Produkte und Dienstleistungen finden wollen. Die Auswirkung eines solchen Dienstes wurde durch verschiedene erfolgreiche Kooperationen und Projekte mit Branchenführern wie HP Tech Ventures, SAFRAN, Wieland und ALDI bewiesen.
Einige Beispiele für solche Start-ups und ihre Innovationen sind:
Zeit, es richtig zu machen
Mit diesem Artikel möchten wir die Unternehmen daran erinnern, dass die Macht in der Summe liegt: Kein Unternehmen kann den Klimawandel allein aufhalten, daher ist die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Experten, Gesetzgebern und Innovatoren von entscheidender Bedeutung. Drei Dinge sind heute mehr denn je gefragt: Proaktivität, Praxisnähe und Einigkeit, um das gleiche Ziel zu verfolgen.
Lasst uns unsere Kräfte bündeln und die Netto-Null-Problematik zur gemeinsamen Priorität machen!