Im Januar ist bei UnternehmerTUM die neue Initiative CIRCULAR REPUBLIC gestartet, die Unternehmen dabei unterstützt, Circular Economy-Innovationen zum Kern ihres Geschäftsmodells zu entwickeln. Wirtschaft, Start-up-Szene und Wissenschaft kommen dabei an Europas größtem Innovationszentrum zusammen, um gemeinsam die Kreislaufwirtschaft voranzubringen. Die ehrgeizige Initiative agiert nicht nur für eine gesicherte Zukunft in Deutschland, sondern kann schon jetzt als Leuchtturm-Projekt mit europäischer und sogar internationaler Strahlkraft bezeichnet werden.
Wir haben mit den drei Gründungsmitgliedern Dr. Matthias Ballweg, Dr. Susanne Kadner und Niclas-Alexander Mauß, über ihre Vision von einer zirkulären Wirtschaft und konkrete Maßnahmen gesprochen.
Laut Circularity Gap Report 2023 ist die globale Wirtschaft nur noch zu 7,2% zirkulär. Was sagt diese Zahl für euch aus?
Susanne: Die Zahl drückt aus, dass wir schon seit einigen Jahren über Kreislaufwirtschaft reden, aber noch nicht verstanden haben, wie man es wirklich macht. Zirkuläres Wirtschaften heißt, Wohlstand und Wertschöpfung vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Auch wenn im Rahmen des Koalitionsvertrages eine Kreislaufwirtschaftsstrategie entwickelt werden soll, ist noch nicht in der Breite der Gesellschaft angekommen, dass das Klima- und das Ressourcen-Thema zusammen gedacht werden müssen. Genau da müssen wir hin.
Matthias: Der Circularity Gap Report wirft ein Schlaglicht auf unseren absoluten Ressourcenverbrauch. Es bringt uns nicht weiter, dass eine Bohrmaschine zu 30, 50 oder 80 Prozent aus recyceltem Material produziert wird, wenn gleichzeitig zu viele Bohrmaschinen verkauft werden. Wir holen zu viele Primärressourcen aus der Erde, selbst wenn wir unsere Anstrengungen in Richtung Nachhaltigkeit erhöhen. Das verdeutlicht auch, dass wir bisher nur über Recycling nachgedacht haben. Produkte, die sehr schlecht genutzt sind und von denen wir sehr viele haben, zu recyceln, ist ein Tropfen auf den heißen Stein.
Was bedeutet das für unser Konsumverhalten?
Susanne: Die Circular Economy ist eine ganz klare und eingängige Vision. Trotzdem gibt es physikalische, thermodynamische Grenzen, Dinge können nicht zu 100% im Kreislauf geführt werden, wir benötigen einen bestimmten Anteil an Primärmaterial, um neue Produkte entwickeln zu können. Das heißt, dass auch weiteres Wachstum weitere Ressourcenentnahme bedeutet.
Für mich gehört zu einer ehrlichen Debatte auch die Frage, was Wohlstand bedeutet. Zu dieser Ehrlichkeit zählt auch, keine überzogenen Erwartungen zu schüren, dass wir 100% zirkulär werden und bei einer gleichzeitig wachsenden Bevölkerung unbedacht konsumieren können. Das wird nicht funktionieren. Gleichwohl ist es aber als Einzelperson möglich, den eigenen Fußabdruck zu regulieren. Es fehlt noch an Rahmenbedingungen, so dass die Eigenverantwortung für die Verbrauchenden momentan unverhältnismäßig groß ist. Darüber muss gesprochen werden.
Niclas: Richtig! Man wird das Thema nicht gewinnen, wenn man nur die Verbrauchenden in die Verantwortung nimmt. Wir brauchen dazu die Unternehmen: Wenn Firmen sich darauf besinnen, welchen Mehrwert ihre Produkte stiften können, ohne Primärressourcen zu verwenden, können sie durch die Ausrichtung ihres Geschäftsmodells viel bewirken. Dreierlei Strategien braucht es dafür: „Narrowing the Loop“, also weniger Ressourcen verbrauchen, „Extending the Loop“, heißt Produktlebenszyklen verlängern, und „Closing the Loop“, also Materialkreisläufe schließen. So können wir dahin kommen, Materialien, die wir extrahiert haben, zu erhalten und zu nutzen, ohne dabei mehr zu verbrauchen.
Der Circularity Gap Report macht mir auch Hoffnung: Im Umkehrschluss zeigt er, dass rund 93% unserer Wirtschaftsleistung die Opportunität bergen, zirkulär zu werden und dies unternehmerisch mitzugestalten. Diese Gestaltungskraft ist auch für die Start-up-Szene besonders spannend.
Wie können Unternehmen von zirkulären Geschäftsmodellen profitieren?
Niclas: Während das “Race to the Bottom” immer ein anderer gewinnen wird, bietet die Circular Economy produzierenden Unternehmen die Möglichkeit, sich wieder auf das zu besinnen, wofür sie gerade in Deutschland und Europa typischerweise stehen: die Herstellung hochwertiger langlebiger Produkte, vertrauensvoller Partnerschaften, langfristiges Denken und Handeln in der Unternehmensplanung und große Serviceorientierung. Zirkuläre Geschäftsmodelle tragen dazu bei, dass genau dies idealerweise keinen Zielkonflikt mehr zur Profitabilität darstellt, sondern alle beteiligten Akteure gemeinsam davon profitieren.
Ich selbst bin dabei stark vorgeprägt von meinen Vorerfahrungen bei Lorenz, ein mittelständischer Messtechnikhersteller aus der Schwäbischen Alb, bei dem die Ausrichtung auf die Circular Economy zum entscheidenden Faktor für Standortsicherung und Wettbewerbsfähigkeit wurde. Der Preis für Messing hatte sich in den frühen 2000er Jahren vervielfacht – was wir in naher Zukunft auch bei vielen anderen Rohstoffen erleben werden –, doch statt dem Trend zu Low-Cost-Materialien und Niedriglohnproduktion zu folgen, machte Lorenz aus der Not eine Tugend und setzte erst recht auf die Qualität und Langlebigkeit der eigenen Produkte: Mit dem Vorteil, sie nach ihrem Lebenszyklus wieder aufbereiten zu können. Anfangs auf Demontage und Remanufacturing fokussiert, ist heute das gesamte Geschäftsmodell auf die Kreislaufführung ausgerichtet, die Produkte werden u.a. vermietet statt verkauft. Auf diese Weise profitieren am Ende alle Beteiligten von einem hochwertigen, langlebigen, leistungsstarken Produkt bei zugleich minimiertem Ressourcenverbrauch.
Susanne: Genau dies macht die Circular Economy auch für andere Unternehmen so spannend: die Minimierung der Lieferkettenrisiken, eine Verringerung der Importabhängigkeiten von Ressourcen und das Wirken gegen Artensterben und Treibhausemissionen. Damit kann die Circular Economy zu einer Entkoppelung von Wohlstand und Wertschöpfung vom Ressourcenverbrauch beitragen.
Matthias: Jedes Unternehmen hat die Möglichkeit, den eigenen Rohmaterial-Fußabdruck zu messen, sich zu fragen, welche Ressourcen in den eigenen Produkten verbraucht werden und wo diese herkommen. Spannend wird im nächsten Schritt die Frage, welche Opportunitäten daraus entstehen können, wenn das gleiche Kundenbedürfnis mit weniger Rohmaterial erfüllt wird. Wer jetzt damit anfängt, hat einen strategischen Vorteil, denn die ständige Verfügbarkeit von Ressourcen wird zurückgehen. Zu Beginn des Ukrainekriegs war der Rohstoff Neon kaum mehr erhältlich, da sich die größten Fabriken für den Weltmarkt in Odessa befinden. Da wir uns in einer Dekade globaler Konflikte befinden, werden Probleme dieser Art zunehmen.
Welchen Beitrag leistet ihr mit CIRCULAR REPUBLIC?
Matthias: Uns geht es im Wesentlichen darum, dass Unternehmen – egal ob Start-up oder etabliert – befähigt werden, jetzt die Geschäftsmodelle zu bauen, die in einer Welt tragen, in der wie beschrieben Lieferketten reißen und in der wir eine Verantwortung haben, kein neues Primärmaterial mehr aus dem Boden zu schöpfen. Nur so entstehen zukünftig Geschäftsmodelle, die auch wirtschaftlich erfolgreich sind.
Niclas: Auf diesem Weg wollen wir das Ökosystem von UnternehmerTUM gezielt hebeln und nutzen, um einen Beitrag zu dieser gesamt-industriellen Transformation zu leisten, die sich auf viele unternehmerische Einzelaufgaben herunterbrechen lässt, sowohl für etablierte Unternehmen als auch für Start-ups.
Susanne: Im Kontext zirkulärer Geschäftsmodelle ist die Zusammenarbeit der Schlüssel. Genau dafür steht UnternehmerTUM und bei CIRCULAR REPUBLIC verstehen wir uns als Katalysator für diese Kooperationen über das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk hinweg, um gezielt das Vertrauen zwischen den einzelnen Akteuren aufzubauen.
Matthias: Dazu arbeiten wir mit allen Gründungsförderprogrammen und den Start-ups zusammen und integrieren Circular Economy durch Tools und Fähigkeiten, um Kundenbedürfnisse mit einem geringen Rohmaterial-Fußabdruck zu erfüllen, so dass junge Unternehmen direkt mit zirkulären Geschäftsmodellen starten können.
Außerdem treiben wir Projekte mit unterschiedlichen, relevanten Partnern für zirkuläre Wertschöpfungsketten voran, z.B. im Batterie-Bereich. Dabei bringen alle ihre Expertise ein: das Start-up tozero beim Thema Recycling, STABL Energy im Bereich Second Life, Twaice beim Digitalen Zwilling und LiBCycle setzt die Logistik um. Im Schulterschluss mit unseren Corporate Partnern wie BMW werden dabei Piloten und Plattformen gebaut, die solche Lösungen dauerhaft sicherstellen.
Wir machen zudem viel Öffentlichkeitsarbeit, richten im November das CIRCULAR REPUBLIC Festival aus und organisieren Events, um dieses Momentum für das Thema Circular Economy so zu nutzen, dass es in aller Munde ist.
Könnt ihr schon etwas zu dem geplanten CIRCULAR REPUBLIC Festival verraten?
Niclas: Das Festival richtet sich an alle Circular Economy-Visionäre und solche, die es werden wollen. Wir möchten Ideen und Beispiele vorstellen und damit zur Nachahmung inspirieren. Wir planen ein mehrtägiges Event im Munich Urban Colab, weiteren bundesweiten Standorten und auch Online-Formate. Wir hoffen, dass sich viele unserer Partner mit eigenen Events anschließen, um die Circular Economy zu pushen. Vielfach besteht bereits eine langjährige Zusammenarbeit, etwa mit Circular Munich und Circular Futures, und mit dem geplanten Festival wollen wir unsere Partnerschaften auf ein nächstes Level heben.
Matthias: Für mich ist das Tolle daran die Dynamik, die wir nach außen hin entfachen. Es soll nicht nur eine Veranstaltung für uns sein, sondern es werden auch verschiedene Münchener Initiativen und Organisationen beteiligt sein. Außerdem planen wir eine TEDx Veranstaltung, werden die Stadt München involvieren und es wird coole Publikumsformate geben. Es soll sich wie ein Feuerwerk von Inspirationen, ein gemeinsames Happening, anfühlen.
Was wünscht ihr euch von der Politik in Bezug auf die Circular Economy?
Susanne: Da gibt es natürlich viele Ebenen. Kommunal arbeiten wir mit der Stadt München - und mittelbar mit verschiedenen Regionen in Europa - für einen Circularity Gap Report zusammen und es ist toll zu sehen, dass sie diesen nutzen möchte, um konkrete Maßnahmen daraus abzuleiten. Aber ich möchte an dieser Stelle auch klar sagen: Die Politik sollte die Rahmenbedingungen schaffen, die zirkuläres Wirtschaften belohnen und nicht bestrafen.
Niclas: Zwei konkrete Wünsche meinerseits wären zum einen ein echter CO2-Preis, der sich substanziell niederschlägt in den Geschäftsmodellen und dadurch Circular Economy noch profitabler macht. Zweitens: eine öffentliche Beschaffung, die auf Kreislaufwirtschaft ausgerichtet ist, z.B. bei Gebäudebau und -ausstattung. Dies wäre ein Quick-win, ohne dass man komplexe regulatorische Maßnahmen ergreifen müsste.
Vielen Dank für das Interview!
Über die Personen
Dr. Matthias Ballweg
Co-Founder und Direktor bei CIRCULAR REPUBLIC
Matthias hat bisher mehrere Jahre lang bei SYSTEMIQ die globale Circular Economy-Plattform mitverantwortet. Dabei baute er Koalitionen wie die „Circular Cars Initiative“ auf und war Mitverfasser einflussreicher Studien zur Umsetzung eines European Green Deal. Zuvor war Matthias mehrere Jahre Vice President Strategy bei MAN Truck & Bus und dort u.a. verantwortlich für sämtliche Themen zur Zukunft der Mobilität im Personen- und Güterverkehr. Der promovierte Verhaltenspsychologe ist Start-up-Gründer, Vater von vier Kindern und Vorstand der Sektion Oberland des Deutschen Alpenvereins, dem zweitgrößten Sportverein Deutschlands.
Dr. Susanne Kadner
Co-Founder und Head of Ecosystems bei CIRCULAR REPUBLIC
Susanne war zuvor Leiterin “Energie, Ressourcen und Nachhaltigkeit” bei acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Dort initiierte und leitete sie die Circular Economy Initiative Deutschland, die mit Akteurinnen und Akteuren aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft den Übergang zu einer ressourceneffizienten und digitalisierten Kreislaufwirtschaft definiert hat. Zuvor war Susanne am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung tätig, u.a. als wissenschaftliche Leiterin der Geschäftsstelle des UN-Klimarates. Susanne fungiert als Mentorin des Start-up Accelerator-Programms der BMW Stiftung Herbert Quandt.
Niclas-Alexander Mauß
Co-Founder und Head of Operations bei CIRCULAR REPUBLIC
In seiner über zehnjährigen Tätigkeit in der produzierenden Industrie gestaltete Niclas aufs Engste die Transformation des mittelständischen Messtechnikherstellers Lorenz zu einem vielfach ausgezeichneten Pionier der Circular Economy mit. Seit 2020 leitete der Machinenbauingenieur ein Inkubationsprogramm bei UnternehmerTUM und gründete parallel im Zuge seiner Promotion an der Technischen Universität München den Forschungsverbund CirculaTUM: Heute mit rund 100 Personen und über 30 Mitgliedsinstituten der größte seiner Art in Deutschland und das wissenschaftliche Pendant zu CIRCULAR REPUBLIC.